Demokratisches Management
Eine Erinnerung an Mary Parker Follett, die vor 90 Jahren gestorben ist
Mary Parker Follett ist eine Pionierin, manche nennen sie eine „Prophetin“ (Peter Drucker), des demokratischen Managements. Sie wurde am 3. September 1868 in Quincy, im US-Bundesstaat Massachusetts geboren und studierte Wirtschaft, Politik, Jura und Philosophie. Acht Jahre lang (1900 – 1908) war sie in der Sozialarbeit tätig und hat später maßgeblich dazu beigetragen, dass Stadtteilzentren als Orte sozialer Hilfen und der Bildung in den USA aufgebaut wurden. Diese Erfahrungen haben sie zu Studien über Gruppen und Gruppendynamik angeregt, deren Ergebnisse maßgeblich ihr Demokratie-, Organisations- und Managementverständnis geprägt haben.
Sie entdeckte die Gruppe als den Ort, an dem Sichtweisen und Meinungsverschiedenheiten ausgehandelt werden müssen und sozialer Zusammenhalt entsteht. In Gruppen wird die Demokratie im Alltag erlernt und praktiziert. Und das bedeutet: Jede Person ist an den für sie relevanten Entscheidungen beteiligt und übernimmt die individuelle Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen. Neben den privaten Lebensräumen sind es die gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Orte, an denen Demokratie als Handlungspraxis im Alltag erlernt und erfahren werden kann. Das Wirtschaftsunternehmen ist ein solcher Ort, an dem in Gruppen (Teams) zusammengearbeitet wird. Eine freiheitliche Herrschaftsform wie die Demokratie ist deshalb auf eine demokratische Wirtschaft, demokratische Wirtschaftsorganisationen und ein demokratisches Management angewiesen.
Ausgehend von dieser aufgeklärt liberalen Weltsicht entwickelt Mary Parker Follett ein Verständnis von Wirtschaft, Unternehmertum und Führung, das multirational genannt werden kann. Sie vereint eine ökonomische, psychologische und ethische Perspektive im Hinblick auf die gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen und mögliche Lösungen. Wirtschaftsunternehmen werden als ein Teil der Gesellschaft begriffen, in deren Dienst sie mit ihrer Gewinnerzielungsabsicht stehen. Gewinne sind dann legitim, wenn sie dem Gemeinwohl dienen.
Eine menschengerechte, soziale Wirtschaft wird durch Unternehmen gestaltet, die ihrerseits menschengerecht und sozial ausgerichtet sind. Deshalb geht es neben der Gewinnerzielung um das Gemeinwohl und die Potentialentfaltung des Einzelnen in der Organisation. Einerseits ist die Organisation durch eine Vielzahl von Gruppen und Gruppenbeziehungen geprägt, andererseits ist es ein Trugschluss zu glauben, diese Beziehungen ließen sich über Befehl und Gehorsam steuern. Management wird als dienstleistungsbezogene Funktion der Organisation beschrieben. In diesem systemischen Managementverständnis geht es konkret um geteilte Macht statt positionsorientierter Führung. 1924 schreibt sie in ihrem Buch Creative Experience:
„A large organization is a collection of local communities. Individual and institutional growth are maximized when those communities are self-governing.“
Mary P. Follett entwirft ein Selbstorganisationskonzept, das auf Partizipation, Selbststeuerung und Sinnstiftung basiert. In ihrer Theorie eines demokratischen Managements ist die Unterscheidung von „Macht mit“ und „Macht über“ zentral. „Macht über“ meint einen Einfluss, der mittels (willkürlicher) Anordnungen durchgesetzt wird. „Macht mit“ bedeutet hingegen: Führung geschieht durch verteilte Macht und Interaktion. Ein solches Management sieht die Aufgabe darin, die Organisationsmitglieder zu befähigen und zu ermächtigen, Führungsarbeit zu leisten. Sie schreibt:
“Part of the task of the leader is to make others participate in his leadership. The best leader knows how to make his followers actually feel power themselves, not merely acknowledge his power.” (aus: Dynamic Administration)
„Leadership is not defined by the exercise of power but by the capacity to increase the sense of power among those who are led. The most essential work of the leader is to create more leaders.“ (aus: Creative Experience)
Ein demokratisches Management hat einen „freiheits- und legitimationstheoretischen Vorsprung“ (O. Höffe) vor vertikal hierarchischen Ordnungs- und Führungsmodellen. Und im Verständnis von Mary Parker Follett wird das Management zu einer demokratischen Institution in der Organisation. Zugleich wird die Demokratie zum Mittel, um Teilhabe und Kohäsion effektiv zu ermöglichen, weil sich Organisationmitglieder als freie Bürger selbstbestimmt in die Organisationsgestaltung einbringen können und nicht als fremdbestimmt erleben.
Als Mary Parker Follett am 18. Dezember 1933, im Alter von 65 Jahren, in Boston stirbt, war sie eine anerkannte Politik-, Unternehmensberaterin und Publizistin, der eine Universitätskarriere verwehrt blieb. Noch heute ist sie eine (leider fast vergessene) Prophetin einer humanistischen und demokratischen Organisations- und Managementlehre. Die Re-Lektüre ihrer Bücher und Aufsätze ist eine Quelle der Inspiration für selbstorganisierte Ordnungen in Gesellschaft und Wirtschaft. In ihrem Werk klingen sozial-/gemeinwohlökonomische Ideen und Modelle an, die eine andere Organisations- und Arbeitsgestaltung möglich machen. Zugleich bleibt sie eine kritische Stimme im Hinblick auf die noch allzu häufig fremdbestimmten Organisations- und Führungsmodelle in der Wirtschaft und der Sozial- und Gesundheitswirtschaft gleichermaßen.