New Work. Ein Überblick für die Sozialwirtschaft
New Work - Neue Arbeit. Für die einen ist es ein trendiger Containerbegriff, für die anderen ist die Idee längst schon wieder überholt. Was steckt hinter diesem Begriff? Was steckt für die Sozialwirtschaft in diesem Konzept einer anderen Arbeitswelt. Diesen Fragen gehe ich nach, indem ich die Facetten dieses Konzepts vorstelle.
Der Beitrag ist zuerst in der Zeitschrift Sozialwirtschaft (3/2023) erschienen.
Die Arbeitswelt befindet sich im Umbruch. Die Indizien sind evident: demografischer Wandel und Fachkräftemangel, Digitalisierung, die Erwartungen der Generationen Y und Z nach Sinnerfüllung und Selbstbestimmung bei einer verlässlichen Work-Life-Balance und flexiblen Arbeitszeiten. Diese Veränderungen wirken sich radikal auf die Erwerbsarbeit und die Unternehmen aus. Die Zukunft der Arbeit ist eine andere, womöglich neue Arbeit.
New Work wird im Personalmanagement seit geraumer Zeit diskutiert und findet sich auf den Top-Plätzen der HR-Trends der letzten Jahre. Der Begriff wird zur Chiffre für eine Vielzahl neuer Arbeitsmodelle und -formen. Auch in der Sozialwirtschaft kann beobachtet werden, dass dieser Begriff von Vorständen in den Mund und die entsprechende Managementlektüre zur Hand genommen wird. Doch sind flexibles, mobiles, kollaboratives oder agiles Arbeiten, der Kicker und die Kreativecke im Büro schon New Work?
„Was wir wirklich, wirklich wollen“
Der Begriff New Work geht ursprünglich auf den Philosophen Frithjof Bergmann (1930-2021) zurück, der damit ein sozialphilosophisches Konzept der Befreiung aus fremdbestimmter und abhängig machender Lohnarbeit bezeichnet. Oder positiv formuliert: Arbeit ist für Bergmann ein Mittel zur Persönlichkeits- und Potentialentfaltung. Insofern sollte der Mensch in seinem Tätigsein nur dem nachgehen, „was er wirklich, wirklich tun möchte“. Der Kern der New Work Philosophie ist die Autonomie des Menschen, der gerne tätig ist, um sich in Gemeinschaft selbst zu verwirklichen. Infolgedessen kann New Work auch mit selbstbestimmter Arbeit in Gemeinschaft übersetzt werden. Die Arbeit, die der Mensch leistet, hat ihren Ursprung im willentlichen Entschluss des Einzelnen.
Die Lohnarbeit hingegen ist für Bergmann Ausdruck eines kapitalistischen Wirtschaftssystems, das den Menschen von dem, was er wirklich will, entfremdet, um die Arbeitskraft des Einzelnen für die Gewinnmaximierung auszubeuten. Der Mensch verlernt in diesem System, was er wirklich will und wird so unfrei. Ein Symbol dieser Entfremdung ist für Bergmann die vertikal hierarchische Organisation, die er eine „quasi-militärische Organisation“ nennt, weil sie auf dem Prinzip der Unterordnung aufbaut. Folgerichtig entwickelt er ein „alternatives Wirtschaftssystem“, das selbstbestimmte Arbeit möglich macht.
Die Sozialutopie einer „Ökonomie der Neuen Arbeit“ wird von Frithjof Bergmann in den 1980er Jahren im Kontext der Massenentlassungen in der US-amerikanischen Automobilindustrie entworfen. Im Zentrum dieser Utopie steht eine lokale Ökonomie, die die Produktion von der Lohnarbeit entkoppelt und von einer sogenannten gemeinschaftlichen „High-Tech-Eigen-Produktion“ in kleinen Werkstätten vor Ort ausgeht. Das Ziel ist die Sicherstellung der Selbstversorgung als Basis für Tätigkeiten, die für den Einzelnen Sinn stiften. Ausgehend von der Hierarchiekritik im Hinblick auf das Ordnungsmodell des Kapitalismus skizziert Bergmann für die „Community Production“ ein laterales Organisationsmodell.
Im aktuellen New Work Diskurs wird der Begriff ohne diese sozialphilosophischen und utopischen Grundlagen als ein neues Konzept der Arbeit im kapitalistischen Wirtschaftssystem verwendet. Der Begriff wird insofern ohne seine radikale und revolutionäre Energie genutzt und ist zu einem Containerbegriff geworden, der zahlreiche Verständnisse und Instrumentalisierungen zulässt. Im Folgenden werden zwei Konzepte von New Work vorgestellt, die empirisch untersucht wurden. Es handelt sich um das ökonomische Konzept von Benedikt Hackl und das sozialpsychologische Konzept von Carsten Schermuly. Das New Work-Barometer rundet den Überblick ab.
Agilität und betriebswirtschaftliche Effizienz
Seit 2013 forscht eine Gruppe um Benedikt Hackl zur Frage nach der „Organisation der Zukunft“. Auslöser dieser Fragestellung sind Veränderungen auf der Makro-, Meso- und Mikro-Ebene, die u.a. mit den Begriffen Demografie, Fachkräftemangel und Individualisierung beschrieben werden. Diese Veränderungen wirken sich auf das Verständnis von Arbeit sowohl auf der gesellschaftlichen/politischen, der organisationalen und der personalen Ebene aus. Die empirischen, nicht repräsentativen Studien beleuchten die individuellen Einstellungen von Mitarbeitenden verschiedener Branchen im Vergleich zu den wahrgenommenen organisationalen Rahmenbedingungen. New Work wird als ein Faktor untersucht, der es ermöglicht, die Überlebensfähigkeit der Organisationen durch die Gleichzeitigkeit von Kreativität der Mitarbeitenden und Effizienz der Prozesse zu sichern.
Das New Work Konzept von Frithjof Bergmann wird lose aufgegriffen und ohne die sozialökonomische Utopie verwendet. So meint New Work hier eine weitgehend selbstgesteuerte Arbeitsgestaltung sowie eine sinnstiftende Arbeit im System der Marktwirtschaft. Fünf Kategorien werden für New Work entwickelt, denen 12 New Work Instrumente zugeordnet werden. Die Kategorien lauten: Individualität, Führung, Agilität, Flexibilität und Bürokonzepte. Die Befragungen machen insbesondere eine starke Diskrepanz zwischen Wichtigkeit und Umsetzung bei den folgenden Instrumenten deutlich: Mitarbeiterbeteiligung, selbstbestimmtes Arbeiten und demokratische Führungskultur. Am meisten wünschen sich die Befragten schnelle Entscheidungsprozesse und flexible Arbeitszeiten. Bei den Arbeitszeiten liegen Wunsch und Wirklichkeit bereits am weitesten beieinander.
Die Korrelationsanalysen haben ergeben, dass es positive Zusammenhänge zwischen dem Einsatz von New Work Instrumenten und Umsatz, Mitarbeiterzufriedenheit und Arbeitgeberattraktivität gibt. Diese Ergebnisse werden gestützt durch die negative Korrelation zwischen Fluktuationsquote und dem Instrumenteneinsatz. Das heißt: Je weniger New Work praktiziert wird, desto höher ist die Fluktuation. Als Barrieren zur Umsetzung von New Work in den Organisationen werden acht Einflussgrößen identifiziert. Auf den ersten vier Plätzen stehen die Geschäftsführung, die Führungskräfte, die finanziellen Ressourcen und die Unternehmenskultur.
Die Autoren schlussfolgern aus den Ergebnissen, erstens eine Demokratisierung von Arbeitsbeziehungen in den Unternehmen durch Hierarchieabbau, zweitens Führung als Aufgabe statt als hierarchische Rolle zu verstehen, drittens die Mitarbeiterbeteiligung zum Kernanliegen des Managements zu machen und viertens das Management auf eine Strategie-, Agilitäts- und Individualitätsorientierung auszurichten.
Psychologisches Empowerment
Während im Forschungscluster um Benedikt Hackl die strukturelle Dimension aus ökonomischer Perspektive im Vordergrund steht, setzt sich Carsten Schermuly mit der (sozial-)psychologischen Dimension von New Work auseinander. Der Mensch in der Organisation, mit seinen individuellen Wahrnehmungen und seinem einzigartigen Erleben von Situationen, Kontexten, Begegnungen und Aufgaben, Strukturen und Methoden, steht im Fokus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Damit knüpft Schermuly an den humanistischen Ansatz von Frithjof Bergmann an, der von der Prämisse ausgeht, dass die Arbeit dem Menschen dienen solle. Auch Schermuly greift die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Neuvermessung im New Work Ansatz von Bergmann nicht auf, sondern konzentriert sich auf das psychologische Empowerment als das primäre Ziel von New Work. Der Begriff New Work wird unter dieser Maßgabe in die Formulierung „Gute Arbeit gestalten“ übertragen. Gute Arbeitsbedingungen und -beziehungen liegen dann vor, wenn diese die Menschen in der Organisation psychologisch empowern.
Im psychologischen Empowerment geht es im Kern um vier Wahrnehmungsdimensionen. Menschen nehmen ihre Kompetenz im Beruf, die Bedeutsamkeit ihrer Aufgabe (Sinnstiftung), ihre Selbstbestimmung in der Arbeitsgestaltung (Autonomie) und ihren Einfluss (Macht) am Arbeitsplatz wahr. Je nachdem wie kompetent, bedeutsam, selbstbestimmt und einflussreich sich Menschen in ihrer beruflichen Rolle erleben, können sie proaktiv handeln. Die Befähigung und Ermächtigung zu fachlich kompetentem, sinnstiftendem, autonomem und wirksamem Erleben und Handeln des Einzelnen ist zugleich Aufgabe und Ziel einer Organisation, die New Work praktizieren will. Insofern wird das psychologische Empowerment von den Rahmenbedingungen der Organisation, hier insbesondere von Kultur und Struktur, beeinflusst. Eine psychologische Befähigung und Ermächtigung gehen also einher mit einem strukturellen Empowerment. Schermuly weist aber darauf hin, dass die strukturelle Dimension ein Mittel zum Zweck ist, während das Empowerment des Individuums einen Selbstzweck darstellt.
Verschiedene Studien zeigen deutlich, dass Arbeitnehmer:innen in Deutschland sich zwar als sehr bedeutsam und kompetent im Beruf erleben, aber weniger selbstbestimmt und einflussreich. Geschlechtsunterschiede spielen hier keine Rolle. In Metaanalysen konnte nachgewiesen werden, dass ein psychologisches Empowerment einen großen Zusammenhang mit der Arbeitszufriedenheit und einen mittleren Zusammenhang mit der Organisationsbindung sowie der Arbeitsleistung der Mitarbeitenden aufweist. Allerdings wirken hier die vier Dimensionen zusammen, da sie in einer komplexen Wechselwirkung stehen. Die Wirkung eines psychologischen Empowerments wird fraglich, wenn zwei von vier Dimensionen (hier Selbstbestimmung und Einfluss) weniger stark ausgebildet sind. Für eine Umsetzung der New Work Philosophie kommt es nach Schermuly auf die Berücksichtigung aller Dimensionen an und bedarf einer organisationalen Haltung, die das Empowerment trägt.
Das New Work Barometer
Seit dem Jahr 2020 erhebt das Institute for New Work and Coaching der SRH Berlin Hochschule unter Leitung von Carsten Schermuly und Partnern eine Übersicht zum Verständnis von New Work – das New Work Barometer. Es handelt sich um jährliche Neuerhebungen, die nicht-repräsentativ sind. In der Erhebung 2022 stand die Frage nach der Funktion von Agilität für New Work im Mittelpunkt. Demnach wird Agilität zur New Work Philosophie gezählt und als Mittel zur Steigerung von Leistung und Innovation wahrgenommen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass in der Praxis ein ökonomisches Verständnis von New Work/Agilität verbreitet ist.
Jedes Jahr wird auch die Zustimmung zu vier Verständnissen von New Work abgefragt. Es handelt sich um folgende Konzepte: Frithjof Bergmann, New Work Charta, psychologisches Empowerment und mobiles Arbeiten. Die Sozialutopie von Bergmann erreicht die niedrigsten Zustimmungswerte. Das psychologische Empowerment und die New Work Charta liegen bei den höchsten Zustimmungswerten dicht beieinander, gefolgt vom Verständnis einer Arbeitszeit- und Arbeitsplatzautonomie. Daraus schlussfolgern die Autoren, dass sich die Unternehmen bei der Umsetzung von New Work intensiver auf einen Befähigungsansatz fokussieren sollten, um den Erwartungen der Mitarbeitenden zu entsprechen.
Schlussfolgerungen für die Sozialwirtschaft
Die Arbeitswelt ist auch in der Sozialwirtschaft im Umbruch. Hinzu kommt, dass sozialwirtschaftliche Organisationen wertegebundene Unternehmen sind, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen und für Personenzentrierung und Teilhabe eintreten. Insofern müssen sich diese Organisationen fragen, wie Arbeit zu gestalten ist, damit sie den Menschen, Klient:innen und Mitarbeiter:innen, dient.
Mit der New Work Philosophie werden diese Fragen auf der Makro-, Meso- und Mikroebene der Sozialwirtschaft virulent. So wird durch New Work auf der Makro-Ebene (a) die politische Ökonomie der Quasi-Märkte infrage gestellt. Auf der Meso-Ebene geht es (b) um eine Hierarchiekritik und infolge um eine demokratische und agile Führungskultur (strukturelles Empowerment). Und auf der Mikro-Ebene werden (c) die Menschen individuell befähigt und ermächtigt, um anders arbeiten zu können (psychologisches Empowerment).
Der Überblick zeigt, dass New Work, wenn es im eigentlichen Sinn verstanden und umgesetzt wird, für die Sozialwirtschaft eine politische, ökonomische und humanistische Erneuerung der Arbeitsgestaltung bedeutet. Es ist dann vielmehr als die Einführung agiler Methoden, ein Obstkorb am Arbeitsplatz oder mobiles Arbeiten.
Literatur
Bergmann, Frithjof (2017): Neue Arbeit, Neue Kultur, 6. Auflage, Freiamt: Arbor.
Hackl, Benedikt u.a. (2017): New Work. Auf dem Weg zur neuen Arbeitswelt Management-Impulse, Praxisbeispiele, Studien. Wiesbaden: Springer.
Schermuly, Carsten (2019): New Work – Gute Arbeit gestalten. Psychologisches Empowerment von Mitarbeitern, 2. Auflage, Freiburg u.a.: Haufe.
Schermuly, Carsten/Meifert, Matthias (2022): Ergebnisbericht zum New Work-Barometer 2022, https://www.srh-berlin.de/fileadmin/Hochschule_Berlin/New_Work-Barometer_2022_Ergebnisbericht.pdf (letzter Zugriff: 30.01.2023).